Was bedeuten die Klimaänderung und das Abschmelzen der Gletscher für die Alpen?

Im Alpenraum steigt das Gefahrenpotential mit den Temperaturen: Durch das schnelle Abschmelzen der Gletscher werden große Schuttareale, die sogenannten Gletschervorfelder, freigelegt. Das lockere Gestein kann bei Starkregen als Murgang oder Erdrutsch Täler und Siedlungen gefährden. Auch hier bilden neue und schnell ansteigende Gletscherseen eine zunehmende Gefährdung.

 

Gletschersee am Triftgletscher, Schweiz, 2002 und 2006 © GöF

Gletschersee oberhalb Macugnaga, Italien, 2002 © GöF

Im Sommer 2006 kommt es zu einem Durchbruch eines Gletscherhochwassers mit Murgang im Vadret da l’Alp Ota. Eine Touristin kommt dabei ums Leben.
Das spektakulärste Ereignis 2006 war der Felssturz an der Ostflanke des Eiger. Hunderttausende Kubikmeter Gestein stürzten auf den Unteren Grindelwaldgletscher. Als Hauptursache wird der Rückzug des Unteren Grindelwaldgletschers vermutet. Dadurch fehlt der Druck auf die Felspartie.

Der Permafrost taut auf:
Permafrost – das ist jene etwa 20 bis 100 Meter dicke Schicht aus Eis und Boden im Hochgebirge, die normalerweise das ganze Jahr über gefroren bleibt. In den letzten 100 Jahren hat sich die Permafrostgrenze bereits 150 bis 200 Höhenmeter nach oben verschoben. Die Temperaturen der Permafrostböden im Gebirge steigen mit ähnlicher Geschwindigkeit an wie die Lufttemperaturen.

„Vielerorts erreichten die mittlerweile 10–25-jährigen Messreihen neue Höchstwerte. Besonders markant ist die Erwärmung im kalten Permafrost. So ist zum Beispiel die Bodentemperatur am Gipfel des Stockhorns (3400 m) bei Zermatt (VS) von -2.6 im Oktober 2011 auf -2.0 °C im Oktober 2016 angestiegen. In derselben Zeitspanne hat sich der Boden am Nordhang der Pointe des Lapires (2500 m, Nendaz VS) lediglich von -0.15 auf -0.08 °C erwärmt. Dabei ist anzumerken, dass der Permafrost auch einen gewissen Anteil flüssigen Wassers enthalten kann. Als Folge der Erwärmung nimmt dieser Wasseranteil zu, speziell an wärmeren Standorten mit Bodentemperaturen nahe von 0 °C“1).

Blockgletscher bewegen sich deutlich schneller als vor 20 Jahren

Blockgletscher sind talwärts kriechende Schuttmassen, bestehend aus Gesteinsblöcken und Eis. Sie bewegen sich nach wie vor schnell. Die Rekordwerte von 2015 wurden zwar 2016 an vielen Standorten nicht erreicht. Dennoch bewegen sich die meisten Blockgletscher um ein Mehrfaches schneller als vor 20 Jahren, das heisst vielerorts mit mehreren Metern pro Jahr 1).

Taut das Bodeneis, kommen die Berghänge in Bewegung. Manchmal gleiten sie im Zeitlupentempo zu Tal, aber es kann auch zu plötzlichen Hangrutschungen und Felsstürzen, zu Geröll- und Schlammlawinen kommen. Alle zehn großen Bergstürze der letzten zehn Jahre in der Schweiz haben sich in Permafrostzonen ereignet. 2)

Auftauender Permafrost war wahrscheinlich auch ein Auslöser für den katastrophalen Bergsturz im regenreichen Sommer 1987 im Veltlin in den Italienischen Alpen.

Bergsturz Bormio, Veltlin, Italien, 1987 © GöF

Der Permafrost am Schafberg über dem Ort Pontresina taut auf.
Deshalb hat die Gemeinde im schweizerischen Engadin einen riesigen Damm gebaut, der Geschiebe, Muren und Lawinen aufhalten soll – Kosten: fast acht Millionen CHF.

Auffangdamm oberhalb Pontresina, Engadin, Schweiz, 2003 © GöF

Häufigkeit und Stärke extremer Wettereignisse mit katastrophalen Folgen haben bereits zugenommen: Wurden die Stürme wie „Vivien“ und „Wiebke“ (1991) und , „Lothar“ (1999) noch als „Jahrhundert-Stürme“ bezeichnet, haben sich Sturmstärken in den vergangenen Jahren weltweit verstärkt. Wirbelstürme und orkanartigen Sturmböen mit ungewöhnlich hohen Windgeschwindigkeiten treffen auch den Alpenraum. Schnelle Wechsel zwischen warm und kalt, Winddrift von Schnee und ungewöhnlich starke Schneefälle können Riesenlawinen auslösen – wie 1999 in Galtür im Tiroler Paznauntal, wo 38 Menschen ums Leben kamen.

Lawine Valzur, Paznauntal, Österreich, 1999 © GöF

Die „Jahrhundert“-Hochwasser, Überschwemmungen und Muren der letzten Jahre

Schlammlawine Aostatal, Italien, 2000 © GöF

und die grosse Hitzewelle und Trockenheit im Jahr 2003 und im Juli 2006 haben deutlich gemacht, was noch uns bevorsteht.
Diese Klimaextreme werden sich weiter verstärken. Das wiederum beschleunigt den Gletscherschwund.

Die Klimaänderung beeinträchtigt das Wasserschloss Europas:

  • Große europäische Flüsse wie Rhein, Rhone und Po entspringen in Gletscherregionen der Alpen. Der Abfluss aus den Gletschergebieten ist stark angestiegen.

Rhone unterhalb Rhonegletscher bei Gletsch, Schweiz, 2003 © GöF

  • Nach häufigeren und stärkeren Hochwasserereignissen können Wasserengpässe folgen. Die langfristige Trinkwasserreserve, gebunden im Gletschereis, ist gefährdet. Weltweit stellen die Gletscher (mit Arktis und Antarktis) die größte Süßwasserreserve der Erde dar.

 

Die Klimaänderung führt zum Verlust der Artenvielfalt:

Schon jetzt steigt die Alpenflora bergauf. Konkurrenzstarke Arten wandern nach oben, während die rare und hochangepasste Hochgebirgsflora in Bedrängnis gerät. Ist der Gipfel des Berges erreicht, gibt es kein weiteres Ausweichen: Pflanzenarten (und Tierarten) sterben aus. Schätzungen gehen davon aus, dass von 400 endemischen (nur hier vorkommenden) Pflanzenarten der Alpen ein Viertel vom Aussterben bedroht ist 3).

Alpenflora © GöF

Destabilisierte Waldökosysteme

Häufigere Wetterextreme destabilisieren Waldökosysteme und vergrößern bereits vorhandene Schäden.

Die Bäume und Waldökosysteme sind durch die Luftverschmutzung – vor allem an der Alpennord- und -südkette und entlang der Transitstrecken – erheblich belastet und geschädigt: siehe auch 4).
Die Aussage: „Wenn früher von Waldsterben die Rede war, ging es um Luftverschmutzung und sauren Regen. Heute verändert der Klimawandel die Wälder“ – das lässt außer acht:

  • die Luftverschmutzung ist noch immer viel zu hoch: Luftschadstoffe, die für den sauren Regen und Atembeschwerden verantwortlich sind, wie Schwefeldioxid, Feinstoff, Ammoniak und Stickstoffoxide, werden für Schäden in Höhe von 38 bis 105 Mrd Euro pro Jahr verantwortlich gemacht. Von den zehn Anlagen, die am meisten Kosten verursachen, kommen allein fünf aus Deutschland 5). Den grössten Anteil der Schadenskosten in der EU bilden CO2-Emissionen mit rund 63Mrd €.

 

  • Luftschadstoffe und Treibhausgase haben weitgehend die gleiche Ursache: Verbrennungsprozesse, vor allem die Verbrennung fossiler Brennstoffe – wie Erdöl, Kohle, Erdgas und alle Folgeprodukte wie Benzin, Diesel, Kerosin, Koks und Flüssiggas – setzen Schadstoffe einschließlich der Treibhausgase wie CO2 frei. Hinzu kommen die Emissionen der Agrarindustrie aus Dünger und Pestiziden (Ammoniak, Pestizide und Lachgas, Methan).

Besonders Bergwälder sind gefährdet
Sturmwürfe werden häufiger und Massenvermehrungen von Insekten werden durch Luftverschmutzung und Klimawandel begünstigt.

Bergwald im Dauerstress: Waldschäden und Sturmwurf, Allgäu, Bayern © GöF

Waldbrände drohen in den Hitzejahren: 2003 brannten 450 Hektar Berg- und Schutzwald im Wallis

Abgebrannter Schutzwald oberhalb Leuk, Wallis, Schweiz, 2003 © GöF

Der November 2011 war der trockenste und wärmste seit Beginn der Klimaaufzeichnungen. In der Folge brannten 14 Hektar Bergwald oberhalb des Sylvensteinspeichers bei Bad Tölz. Auch im Winter 2016 brannte wieder Wald – oberhalb des Walchensees. Diesmal war es Brandstiftung, wobei sich der Waldbrand nur aufgrund der Trockenheit im Winter großflächig ausbreiten konnte.
Der Bergwald ist für die Besiedelungen und die Infrastruktur des Alpenraumes von elementarer Bedeutung. Ohne Bergwald erhöht sich die Gefahr von Lawinen, Fels- und Hangrutschungen, Bodenabtrag, Erosion und Hochwasser.

Schutzwald oberhalb Andermatt, Uri, Schweiz, 1998 © GöF

Lawinenverbau, St. Anton, 5.1.1998 © GöF

Gefährdung des Alpentourismus

Die Klimaänderung gefährdet wichtige Grundlagen des Alpentourismus:

  • Das Verschwinden der weißen Berge beeinträchtigt die ästhetische Attraktion der Alpen.
  •  Das Ende vieler Skigebiete: Die Grenze für Schneesicherheit steigt an. Die Betreiber von Skigebieten reagieren mit einer Vorwärtsstrategie – mit zusätzlichen Liften und vor allem mit technischer Beschneiung. Der Skizirkus steigt schon jetzt nach oben.

Schneekanonen: Bau am Patscherkofel, Betrieb oberhalb Kitzbühl © GöF

 

Madonna di Campiglio, 1997 © GöF

Für Skigebiete, die unterhalb 1500 Meter liegen, wird dieser Ausbau außer Schulden und ökologischen Schäden wenig bringen. Die Temperaturen für die künstliche Beschneiung sind schon heute immer häufiger zu hoch. Durch den hohen Wasserverbrauch der Anlagen wird in manchen Gebieten zudem das Trinkwasser im Winter knapp. Für den Bau großflächiger Beschneibecken werden sogar wertvolle Bergwälder gerodet und Moore entwässert. Um den hohen Wasserbedarf zu decken, wird auch Trinkwasser aus dem Tal nachgepumpt.

Garmisch, Kreuzwankl, Bau eines Beschneibeckens 2006, 2007 und 2013 © GöF

In den höher gelegenen Gebieten sind die ökologischen Folgen von Bauarbeiten und Planierungen für Beschneiung und Pisten noch weit kritischer zu beurteilen 6).

Verlegungsarbeiten für Schneekanonen und Pistenplanierung, Kitzsteinhorn © GöF

Sogar Gletscherskigebiete werden künstlich beschneit.

Gletscherskigebiet mit Schneekanonen, Hintertux, Tirol, Österreich © GöF

Betroffen sind vor allem nahezu unberührte Hochgebirgsregionen. Auch Gletscher werden nicht verschont. Gletscherskigebiete bieten – besonders im Sommer – ein sehr trostloses Bild.

Gletscherskigebiet Schneeferner, Zugspitze, Bayern im Sommer 2003 … und im Winter davor. © GöF

Neue Gletscher-Eingriffe mit „Zusatz“-Erschließungen und Liftüberbauungen sind geplant. Der bestehende Gletscherschutz wird mit diesen Vorhaben außer Kraft gesetzt

s. „Einzelbilder:  Weißseeferner

Kletterrouten

Auch das Bergsteigen im Hochgebirge wird gefährlicher. Berühmte Eiswände tauen ab.

Nordflanke Jamspitze, Silvretta, Österreich 1929 und 2001 © GöF

Hochtouren sind zunehmend durch Steinschlag bedroht und Hütten mussten evakuiert werden, wie die Lobbia-Hütte in der Adamello-Gruppe im Sommer 2003. Gletscherübergänge sind oft nicht mehr möglich. Im Sommer 2003 mussten Bergsteiger am Matterhorn nach einem Bergsturz mit Hubschraubern ausgeflogen werden, und der Mont Blanc war für Bergsteiger wegen akuter Gefährdung gesperrt.

Fußnoten und Quellenhinweise:
  1. www.permos.ch ↑ ↑
  2. Interview mit Felix Keller, in: Dolomiten Nr.67, 21.3.01 ↑
  3. Grabherr, Georg: Klimawandel verändert die Gipfelflora, in: Alpenreport 2 ↑
  4. www.waldarchiv.de ↑
  5. www.eea.europa.eu. publication s/ cost of air pollution ↑
  6. http://www.goef.de/_media/der_gekaufte_winter_20151212.pdf ↑